Wenn schon kündigen, dann bitte fair!

von

von Claudia Scherrer (www.claudiascherrer.com)

Wir bedauern sehr. Es tut uns leid. Wir haben uns entschieden. Wer einen solchen Satz anfängt, tut das nie mit Freude und grosser Lust. Denn angetreten als Führungskraft sind alle, um Erfolg zu haben, Ziele zu erreichen, etwas bewirken zu können, Einfluss zu nehmen. Schlicht, um mit Teams Spass zu haben. So hat jede Kündigung ihre Vorgeschichte. Manchmal lief es über lange Zeit gut. Manchmal verändert sich das Verhalten oder die Leistung des Mitarbeitenden plötzlich. Manchmal prägen die ‘Auf und Ab’s’ seit Anstellungsbeginn die Zusammenarbeit. Meist gehen Gespräche voraus, lange Prozesse der Entscheidungsfindung, abwägen, was für das Unternehmen, die Kunden, Teams am besten ist. Bevor es dann zum Kündigungssetting kommt. Zum provozierten Zusammenbruch.

Schauen wir uns im Folgenden eine Kündigungssituation aus zwei Perspektiven an: aus der Sicht des Mitarbeiters, der die Kündigung erhält. Und aus der der Führungskraft, der die Kündigung ausspricht.

Der Zusammenbruch zum Ersten

Aus der Sicht von Karl Grossenbacher, 56 Jahre alt, Familienvater

Karl kommt zur Arbeit. Er fühlt sich innerlich nervös. Sein Magen rebelliert. Aber das ist jetzt seit Wochen so und er schenkt dem gar keine Aufmerksamkeit mehr. Am prunkvollen Gebäude seiner Firma angekommen, nimmt Karl die Treppen in den dritten Stock. Wenigstens ein bisschen Fitness, denkt er. Für ausgedehnten Sport bleibt keine Zeit, seit im Business ein Projekt das andere jagt. Wie gewohnt geht er an seinen Arbeitsplatz, grüsst seine Kolleginnen und Kollegen im vorbei gehen nur knapp. Das Lächeln ist ihm schon lange vergangen, er hat praktisch keinen Bezug mehr zum Team. Es kommt ihm vor, als wären sie da und er dort. Na ja, die Jungen haben auch eine ganz andere Arbeitsmoral. Die Griffe sind automatisiert: Jacke aufhängen, Knopf auf PC drücken, Bildschirm gerade drehen, Wasserflasche hinstellen, Tastatur nach vorne ziehen. Durchatmen, Schultern kurz bewegen, aufrechte Sitzhaltung. Los geht’s. E-Mails checken, internes Kommunikationstool nach aktuellen Posts durchscrollen, Projektstatus prüfen. Da steht auch schon die HR-Verantwortliche vor ihm und bittet ihn, mit zu kommen. Erstaunt schaut Karl sie an. Seine Gedanken schiessen durch den Kopf, er versucht ein Lächeln und steht dann auf, folgt ihr. Im Rücken spürt er die Blicke. Er versucht sich auf das Gehen zu konzentrieren, das Kopf Kino auszuschalten und seine Vorahnung ‘da kommt nichts Gutes’ zu unterdrücken. ‘Wo gehen wir denn hin? Ich wusste gar nichts von einem Termin…’ ‘Wir sind gleich da, Karl. Ja, es ist richtig, ich habe dich nicht vorgängig eingeladen. Schau, hier sind wir schon im Sitzungszimmer. Nimm bitte Platz.’ Im Sitzungszimmer ist bereits der Chef von Karl. Eigentlich kommt er gut klar mit ihm. Sie lassen sich gegenseitig in Ruhe. Es müssen um die 12 Jahre sein, dass die beiden schon miteinander arbeiten. Als er neu gekommen ist, der Chef, hat Karl ihm einiges gezeigt und ihn in die spezifischen Fachthemen sogar richtig gut eingearbeitet. Dafür war ihm sein Chef immer dankbar, das hat er gespürt. Obwohl er ihn vor dem Druck auch nicht abgeschirmt hat und er auch schon heftig Kritik einstecken musste: zu langsam, zu wenig offen für neue Wege. ‘Karl, es tut mir leid, wir haben uns entschieden… Arbeitsvertrag auflösen… Drei Monate Kündigungsfrist... Letzter Arbeitstag!’ Details kriegt Karl nicht mehr mit. Innerlich knickt er ein, bricht zusammen. Er fühlt sich wie ein kleiner Knabe, der nicht weiss, ob er in Tränen ausbrechen oder einen Wutanfall kriegen soll. Ob er einfach nicken oder lauthals protestieren soll. Scham, Angst, Verzweiflung. Am liebsten einfach; weg hier.

Der Zusammenbruch zum Zweiten

Aus der Sicht des Chefs, Oliver Keller, 46 Jahre alt, ledig

Immer dieser Druck von oben! Als ob nicht schon alle ihr Bestes geben und die Ziele vor Augen haben. Oliver liebt seinen Beruf und vor allem blüht er auf, seit er Vorgesetzter ist und mit grossen Teams arbeiten kann. Irgendwie ist er da reingerutscht Mitte 30 und hat sich dann aber erstaunlich wohl gefühlt. Er war schon immer ein guter Kommunikator und konnte andere begeistern. Das kam ihm nun zu Gute. In ein paar Führungsseminaren hat er auch das Handwerk gelernt, wie Delegieren, Ziele setzen, Menschenkenntnisse. Jetzt aber ist alles anders seit der Krise. Plötzlich gehen die Umsätze den Bach runter und die Kosten fliegen ihm um den Kopf. Und kein Ende ist in Sicht. Mittlerweile besteht das Mutterhaus darauf, dass er mindestens einen Mitarbeitenden pro Einheit abbaut. Also drei ihm unterstellte Mitarbeiter. Anfänglich hat Oliver das Gespräch gesucht mit seinen Vorgesetzten im Ausland. Um Aufschub gebeten; ‘ich schaffe das, die Umsätze kommen wieder’. Er war echt verzweifelt, hatte sogar den Impuls, den Bettel hin zu schmeissen. Oder beleidigend zu werden. Er weiss aber, dass er damit die Situation nicht besser macht, im Gegenteil, zum Schluss steht er dann plötzlich noch selber im Schussfeld. Deshalb reisst er sich zusammen und definiert Kriterien, nach denen er entscheiden will:

  1. Leistungsnachweis in der Vergangenheit
  2. Potential für die Zukunft
  3. Leistung und Verhalten jetzt, während der Krisenzeit

Er erstellt sich ein Punkte-System von 1 – 10 und verteilt dies in einer Matrix zu den Namen seiner Mitarbeitenden. Er schläft drüber und bespricht seine Ergebnisse mit der Verantwortlichen im HR. Ihre Meinung ist ihm wichtig. Schliesslich hat sie einen guten Überblick, ist zwar erst seit 4 Jahren im Unternehmen, kennt ihn und die Organisation jedoch sehr gut. Nach langen Gesprächen, hin und her abwägen, einigen sie sich auf Karl und zwei weitere Mitarbeitende. Im Punktesystem von Oliver hatte Karl zu den Punkten 2 und 3 die tiefste Punktzahl. Hinzu kommt, dass er in der Vergangenheit in den Feedback-Gesprächen bereits Kritik ausgesprochen hatte.

Oliver sitzt als erster im Sitzungszimmer, als die HR-Verantwortliche mit Karl hereinkommt. Die Nervosität ist fast atemraubend. Er hat das Gefühl, am ganzen Körper zu zittern und gar keine Stimme mehr zu haben. Er war doch sonst so taff, was das nur ist, dass er jetzt am liebsten einfach abhauen möchte, wie damals, als Kind. Wenn er seinen Vater enttäuschte. Da hat er sich jeweils verkrochen. Sein Vater gab ihm aber auch das Gefühl, ein kompletter Versager zu sein. Während er die Sätze spricht ‘haben uns entschieden… Auflösung… Kündigungsfrist…’, bricht er innerlich zusammen, verhaspelt sich und nimmt Karl nur durch einen Schleier wahr. Einfach nur: schnell fertig machen und weg hier.

Was ist passiert?

… ein Blick in die Transaktionsanalyse

Die Ich-Zustände gehören zu den Basis-Konzepten der Transaktionsanalyse. Die drei Ich-Zustände beschreiben das Denken, Fühlen und Verhalten, das wir zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Aussen zeigen. Sie beziehen sich auf einen Teil unserer Persönlichkeit und werden in drei Ich-Zuständen unterschieden. (siehe Grafik).

Und im funktionellen Modell wird das ‘wie’, das Verhalten und der Prozess beschrieben. Die Anwendung wird ebenfalls in der Graphik aufgezeigt. Dadurch wird das Modell leicht verständlich und nachvollziehbar.

Was heisst das nun für unsere Beispiele?

Die Asche oder am Boden zerstört

Karl und Oliver sind durch die Kündigung erschüttert in ihren Werten. Wie in den zwei unterschiedlichen Perspektiven aufgezeigt, leiden beide unter der Situation, waren teilweise überfordert, weil sie letztlich unvorbereitet in diese einschneidende Krisensituation geführt wurden.

Karl Grossenbacher

Karl schwankt zwischen ‘kritischen Eltern-Ich’ (das macht man nicht, ich bin schliesslich schon lange dabei, habe so viel geleistet und jetzt kommt der junge Chef, den ich eingeführt habe! Das ist unmoralisch!) und dem ‘rebellischen Kind’ (sowas lass ich mir nicht bieten, ich beschwere mich, du wirst schon sehen, Chef! Er wird innerlich laut und möchte am liebsten den Stuhl rumwerfen) und dem ‘angepassten Kind’ (was wird jetzt aus mir? Ich finde in meinem Alter nie mehr eine Stelle, was sagen die Nachbarn, wenn ich plötzlich nur noch zu Hause rumsitze, was denken meine Kinder von ihrem Vater, meine Frau. Wie soll es nur weiter gehen?). Seine Gefühle lähmen ihn.

Oliver Keller

Bei Oliver sieht es ähnlich aus. ‘Sei kein Weichei, sowas musst du doch hinkriegen, das steckst du einfach weg!’ Kritisches Eltern-Ich. Und gleichzeitig: ‘Du musst für deine Mitarbeitenden sorgen, du bist verantwortlich, dass es ihnen gut geht.’ Fürsorgliches Eltern-Ich. ‘Nicht einmal das kriegst du hin.’ Kritisches Eltern-Ich. Aber auch: ‘Wieso tut der Karl so schwierig, ich habe es ihm ja immer wieder gesagt! Der hätte das kapieren müssen und jetzt tut er so überrascht.’ Rebellisches Kind. ‘Ich habe doch gar nichts dafür, die da oben haben es mir einfach befohlen. Was kann ich denn schon ausrichten?’ Angepasstes Ich. Das Gedanken Karussell lässt nicht locker und die Gefühle kommen wellenartig. Er ist im Schraubstock und will am Morgen gar nicht mehr aufstehen.

… aus Fachexperten-Sicht

Gerne bleibe ich bei den zwei Perspektiven. Dieses Mal jedoch verlasse ich die individuellen Beispiele mit Karl und Oliver. Ich fokussiere auf die allgemeine Ebene und schreibe aus der Sicht ‘der Gekündigten’ und aus der Sicht ‘der Führungskräfte’. Denn diese zwei Protagonisten sind in jeder Kündigungssituation wieder zu finden. In der Öffentlichkeit richtet sich der Blick häufig auf die austretende Person. Richtige Horrorgeschichten sind zuweilen zu hören und schnell passiert eine Solidarisierung mit dem Opfer von Arbeitgeberkündigungen. Dabei wird der Prozess der Führungskraft, die Kündigungen ausspricht, oft vergessen. Aus meiner Praxiserfahrung weiss ich, dass dies für viele eine enorme Herausforderung ist. Und, dass sie fast immer alleine gelassen werden damit. Aber eines nach dem anderen.

Aus der Perspektive von Gekündigten: Kann eine Kündigung fair sein?

Ja, natürlich! Allerdings ist das von verschiedenen Faktoren abhängig. Und letztendlich auch von der Person selber. Schafft sie es, nach dem Misserfolg wieder aufzustehen? Einen Weg aus der Krise heraus zu finden? Und wie lange dauert dieser persönliche Prozess? Bei einer ungewollten Trennung von einer Arbeitsstelle sind einschneidende, ja existentielle Themen betroffen. Ausgedrückt mit den drei Hungern nach Eric Berne geht es um Folgendes:

  • Hunger nach Anerkennung und Akzeptanz: Zugehörigkeit wird erschüttert, Möglichkeit von Lob/Tadel entfallen, finanzieller Status geht verloren und damit verbundene Sicherheit.
  • Hunger nach Anreizen: Sinn und Erfüllung gehen verloren, Stimuli wie Herausforderung, Abwechslung sind nicht mehr da, Pflegen von Kontakten, Beziehungen werden reduziert.
  • Hunger nach Struktur (wobei dies im ersten Moment noch nicht sichtbar ist): Es fehlen ein klarer Tagesrhythmus, vorgegebene Leitplanken und ein von Aussen definierter Rahmen, wie zum Beispiel durch den Arbeitsplan.

Da ist es nachvollziehbar, dass die Auflösung des Arbeitsvertrages zu einem Zusammenbruch führen kann, zu einer persönlichen Krise und zu Zukunftsängsten. So hart es klingt; tatsächlich braucht es manchmal Erschütterungen von Aussen, um weiter zu kommen. Um einen Schritt in der persönlichen Entwicklung zu machen. Führt die Kündigung allerdings zu einem traumatischen Erlebnis, das tiefe Wunden hinterlässt, ist dies verantwortungslos seitens des Unternehmens und auch unnötig. Berücksichtig ein Arbeitgeber nämlich folgende Kriterien, kann eine Kündigungssituation mit der Zeit als ‘hart, aber fair’ empfunden wird:

  1. Aussprechen von Vorwarnungen, z.B. in Form von Feedback- oder Kritikgesprächen
  2. Klare Botschaften und ehrliche Gründe im Kündigungsgespräch
  3. Wertschätzende Führung während der Kündigungsfrist

Was heisst das konkret?

1. Aussprechen von Vorwarnungen

In einer Zusammenarbeit geht es um Leistung und Verhalten und daraus ergeben sich Resultate. Diese Resultate werden unter anderem gesteuert durch Führungsgespräche wie Probezeit, Feedbacks, Jahresgespräche, Vereinbaren von Zielen, Informationen. Aber auch Kritik, Aktennotiz und Verwarnungen. Dies sind ‘Vorwarnungen’, die den Mitarbeitenden transparent merken lassen, woran er in Bezug auf sein Verhalten, seine Leistung oder die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens beziehungsweise deren Strategie ist. Damit erhält er die Gelegenheit, aktiv darauf zu reagieren, sein Verhalten zu ändern oder seine Leistung zu verbessern. Auf Grund dieser Vorgeschichten erfolgen dann weiterführende Entscheidungen der Führungskräfte – im Extremfall kommt es zur Kündigung. Gerne betone ich, wie zentrale Gespräche im Führungsalltag sind, sie bauen Vertrauen auf, machen Werte transparent und geben Leitplanken! Der betroffene Mitarbeiter erlebt den Entscheid somit nicht als willkürlich oder komplette Überraschung und fühlt sich nicht ohnmächtig ausgeliefert.

2. Klare und ehrliche Botschaften

Mit dem Kündigungsgespräch wird der Mitarbeiter über die Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Definitiv und verbindlich. Dies löst Stress aus (siehe ‘Hunger’ weiter oben) und die entsprechenden Reaktionen sind bereits im Gespräch spürbar oder gar körperlich sichtbar: zum Beispiel verändert sich die Atmung oder die Hautfarbe. Unter Stress ist die Aufnahmefähigkeit stark eingeengt, alle Sinne sind in Alarmbereitschaft. Klare Botschaften und ehrliche Gründe (am besten nur einer) geben dem Mitarbeitenden Struktur und die Möglichkeit, das Gesagte zu hören und zu verstehen. Nichts ist verwirrender, als ausschweifende und umständliche Sätze, die Türen für Zweifel offen lassen: ‘Was passiert jetzt gerade?’ ‘Werde ich wirklich gekündigt?’ Oder das Gefühl geben, es gibt noch Hoffnung. Oder gar, dass noch etwas anderes oder mehr dahintersteckt. Leider kenne ich einige Beispiele, da dachte der Mitarbeiter zuerst, er würde befördert. Oder nach gefühlt 15 Minuten blabla haben sie nachgefragt: ‘Was wollen Sie mir genau sagen?’ Auch schon wurde ich von einer Kundin gefragt: ‘Ich glaube, die haben mir gerade gekündigt. Aber ich bin nicht sicher. Was mach ich denn jetzt?’ Das hat dann nichts mit Fairplay zu tun. Und bleibt häufig sehr lange in Erinnerung. Deshalb; klare und ehrliche Botschaften, mit einer wertschätzenden Grundhaltung.

3. Führung während der Kündigungsfrist

Am darauffolgenden Tag wieder an der Arbeit zu erscheinen ist herausfordernd für den Gekündigten. Er fühlt sich automatisch in der Defensive. Gehört jedoch dazu. Denn ab jetzt ist die Kündigung öffentlich. Kollegen, Teams werden informiert, je nach Position auch externe Stellen oder gar die Medien. Auch der Gekündigte trägt die Botschaft nach Hause, informiert Partner, Eltern, Kinder. Was – in Klammern – oftmals eine enorme Belastung ist und die grösste Angst im Moment nach dem Kündigungsgespräch. Ein offen kommunizierter Kündigungsgrund hilft bei diesem Gespräch, das von Scham und Versagensgefühlen geprägt ist.

Eine Zusammenarbeit während der Kündigungsfrist ist üblich und gehört zu den Pflichten eines Arbeitnehmers. In dieser Zeit ist die Führung durch den Vorgesetzten matchentscheidend. Gespräche, Anerkennung, Wertschätzung helfen dem Mitarbeiter, im Erwachsenen-Ich der Arbeit nach zu kommen. Den Team-Kollegen auf Augenhöhe zu begegnen und die Kunden zu bedienen. Diese Hilfe durch Führung kann den Mitarbeiter schneller wieder auf die Beine bringen und unterstützen ihn im persönlichen Prozess. Und wer weiss, vielleicht gelingt es, dass er sich bereits zum Ende der Kündigungsfrist wieder neu orientieren kann. Fehlt die Führung nach der Kündigung gänzlich, ist ein hohes Risiko, dass der Mitarbeiter im Kind-Ich bleibt, vor lauter Gefühlen in ein Loch fällt und mit Krankheit und längeren Absenzen rebelliert. Oder aus dem Eltern-Ich einen Rechtsstreit in die Gänge setzt, der aufwändig an Zeit und Emotionen ist.

Aus der Sicht der Führungskraft

Inwiefern eine Führungskraft die ausgesprochene Kündigung als fair empfindet, ist auch hier von den oben erwähnten Kriterien abhängig. Die Entscheidung, eine Kündigung zu fällen, geht an die Nieren. Vor allem, wenn eine nahe Verbindung besteht, vieles gemeinsam durchlebt wurde. Vielleicht sind gemeinsame Projekte erfolgreich gelungen. Oder Kundenreklamationen konnten zum Guten gewendet werden. Vielleicht hat das Team immer zusammen die Mittagspause verbracht. Oder der Chef weiss, dass beim Mitarbeiter der Haussegen schief steht. Eine Kündigung entscheiden und aussprechen bedeutet: die Beziehung auflösen! Und die andere Person zurückweisen. Das setzt persönliche Prozesse in Gang und weckt Schuldgefühle. Auf der einen Seite erinnert sich die Führungskraft an eigene Situationen, in der sie abgewiesen wurde. Zum Beispiel von den Elternfiguren, von einem Lehrer, von einem Chef. ‘…Und jetzt soll ich der Täter sein?’ Erschwerend ist (oder auch: Gott sei Dank), dass Kündigungen nicht an der Tagesordnung sind und in der Regel wenig Übung darin besteht.

Und der dritte Faktor, der noch einen draufsetzt: Kündigungen sind Krisensituationen. Unsicherheit prägt Krisen. Das heisst, nicht alles ist planbar. Und immer wieder kommen Unbekannte ins Spiel, die dann rasch erkannt, bewertet und adaptiert werden müssen. Ja, aus diesen Gründen sind auch für die Führungskraft die drei Kriterien –Vorwarnungen – Klarheit und Ehrlichkeit im Kündigungsgespräch – wertschätzende Führung und Begegnungen während der Kündigungsfrist – zentral, ob die Führungskraft im Nachhinein sagen kann: ‘ich habe alles gemacht, was in meiner Führungsrolle möglich ist. Und es war zwar hart, aber fair’.

Der Phönix aus der Asche oder der Weg hinaus führt über das Erwachsenen-Ich

Kommen wir zurück zu unseren Beispielen und betrachten wir uns, wie sie es geschafft haben, aus dem Tief heraus zu kommen und gestärkt in die Zukunft zu schauen.

Karl vertraut sich seinem Umfeld an

Die Herausforderung für Karl ist nun, mit seinen Gefühlen der Trauer über den Verlust des Arbeitsplatztes klar zu kommen. Auch mit der Enttäuschung und den Schamgefühlen. Ja, mit der Angst vor der Zukunft. Das heisst, diese anzunehmen, ihnen Raum zu geben und sie im hier und jetzt zu zulassen. Ein Austausch mit Vertrauenspersonen, die ihn gut kennen, ihm wohlgesinnt sind und einfach zuhören. Das hat ihm sehr geholfen. Er hat erkannt, dass er mehr als sein Jobtitel ist und ist sehr froh, dass es ihm gelungen ist, mit seiner Frau von Anfang an offen zu reden. Während der Kündigungsfrist weiterhin im Arbeitsprozess stehen ist nicht einfach, bietet jedoch die Möglichkeit, auf andere Gedanken zu kommen, sich auf das ‘tun’ zu konzentrieren. Während dieser Zeit nutzt Karl die Chance, den Kind-Ich Zustand zu verlassen, um ins Denken und Handeln zu kommen. Er befreit sich von den lähmenden Emotionen. Unterstützend ist für Karl der Prozess bei der Regionalen Arbeitsvermittlung. Zugegeben, ein administrativ mühsamer Prozess, jedoch prioritär, weil dies für die Zukunft von grosser Wichtigkeit ist. Nicht zuletzt, um die finanzielle Existenz abzusichern. Und so schwierig der Gang zu den Ämtern sein mag, Karl holt auch dies aus seinem Tief heraus, er kann sich Schritt für Schritt seiner Zukunft zuwenden.

Parallel hat er sich mit Blättern und Buntstiften ausgestattet. Er hat sich entschieden, mit sich selber eine ehrliche Standortbestimmung zu machen. Und Informationen über sich selber und sein bisheriges berufliches Leben zu analysieren. Damit ist er im Erwachsenen-Ich und macht einen ersten Schritt Richtung neue Herausforderung. Auf drei Blättern hält er fest:

  1. Jobinhalte, Aufgaben, Verantwortungen, die ihn bisher erfüllt haben.
  2. Fähigkeiten, Stärken, die ihm Spass machten und ihn die Zeit vergessen liessen.
  3. Rahmenbedingungen, die nicht zu diskutieren sind.

Daraus entwickelt er eine Vision und klärt sein Vorgehen. So kann er sich bereits nach vier Monaten selbstsicher auf dem Arbeitsmarkt bewegen und er freut sich sogar, auf eine neue Tätigkeit.

Oliver macht den Schritt nach Aussen

Oliver hat sich Unterstützung geholt. Er reflektiert nun seine Rolle und die damit verbundene Verantwortung für den Kündigungsprozess. Im Rückblick erkennt er, dass er den Entscheidungsprozess im Erwachsenen-Ich gestaltet hat. Das stärkt ihn und er ist bereit, das Kündigungsgespräch zu verarbeiten. Oliver stösst auf ungeklärtes in der Beziehung zu seinem Vater. Überrascht erkennt er, dass er unter dem Stress des Kündigungsgesprächs wieder in seine Kindheit zurückgefallen ist und sich plötzlich wieder wie damals verhalten hat. Schritt für Schritt löst er diese Muster auf. Mit der nötigen Distanz kann er jetzt seine Haltung zu Karl und seinen zwei anderen Mitarbeitern ändern. Indem er nicht mehr aus dem kritischen Eltern-Ich zu sich selber redet (‘das macht man nicht’) und nicht mehr aus dem fürsorglichen Eltern-Ich in die Überverantwortung geht, erarbeitet er sich ein neues Rollenbewusstsein. Oliver freut sich über die neue innere Klarheit, die er gewonnen hat und die ihn als Führungspersönlichkeit stärkt. Er ist bereit, mit seinem nun kleineren Team die Zukunft erfolgreich zu gestalten.

Claudia Scherrer
HR- und Kündigungsexpertin
TA Grundausbildung und mehrere Jahre Fortgeschrittenen-Training,
sowie Vorbereitung auf den Abschluss zur Beraterin SGfB.
SVEB Zertifikat und durchlaufene Ausbildung zur Ausbildnerin.

info@claudiascherrer.com
+41 (0)79 279 37 47
www.claudiascherrer.com

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